Berufe finden für Geisteswissenschaftler: Das (fast) patentierte Topfschlagverfahren

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Woran man merkt, dass man eine Geisteswissenschaft studiert? Ab dem zweiten Semester machen alle Witze darüber, dass sie ihr Geld später mal mit Taxifahren verdienen werden. Den Großteil meines Studiums der Germanistik und Anglistik wusste ich nicht in Ansätzen, was ich mal werden will, wenn ich groß bin. Eigentlich wusste ich nur, was ich auf keinen Fall machen wollte: Journalismus. Und Lektorat. Zu den Ironien meines Seins gehört es, dass ich nun an der Schnittstelle dieser beiden Felder arbeite – und das auch noch sehr gerne.

Was lernt man im Studium wirklich?

Studiert man Geisteswissenschaften nicht auf Lehramt, qualifizieren sie einen für alles und nichts. Warum man später eingestellt wird, hat oft mit praktischen Erfahrungen abseits des Campus zu tun. Aber auch mit den Fähigkeiten, die man im Studium schult. Altnordisch, eine Theorie zur Fragmentierung des Ichs in der Postmoderne oder Wissen über die Zeichensetzung im Frühneuhochdeutschen braucht man im Alltag skandalös selten. Doch alle Romanisten, Germanistinnen, Philosophie-Absolventen und Kunstwissenschaftlerinnen in meinem Umfeld brauchen regelmäßig ihre analytischen Fähigkeiten. Es kann also nicht schaden, sich selbst und potenziellen Arbeitgeber:innen vor Augen zu halten, was man im Studium eigentlich gelernt hat: sich schnell in komplexe Sachverhalte einzuarbeiten, Themen von unterschiedlichen Seiten zu betrachten, effizient verlässliche Informationen zu besorgen, zu erfassen und nach Wichtigkeit zu ordnen, eine Argumentation stringent auszuarbeiten und die Argumentationen anderer Menschen auf Lücken zu untersuchen. Das sind Fähigkeiten, die man für viele Jobs braucht. Aber welcher ist der richtige?

Wie finde ich den passenden Job?

Ich schreibe all das hier primär, weil ich mir einen solchen Text während des Studiums gewünscht hätte. Denn ich habe Jobberatungen im Arbeitsamt und zahllose Gespräche mit Leuten aus Uni und Wirtschaft gebraucht, um bei einem so simplen wie effektiven Masterplan zu landen. Ich präsentiere: das beherzte Topfschlagverfahren. Es gibt einen Kurs, in dem man die Strichfassung für ein Theaterstück erstellt und lernt, was man in der Dramaturgie am Theater macht? Check. Nebenher im Büro arbeiten, weil Geld sinnvoll ist und man lernt, mit den unterschiedlichsten Menschen am Telefon umzugehen? Check. Als Regieassistenz für eine No-Budget-Produktion an der Uni alles betreuen von Choreo bis Licht und dabei bis zur Premiere nicht wissen, ob wir die ersten 10 Minuten überstehen? Double-Check. Ich habe Lesungen organisiert, auf einem Theaterfestival hospitiert, im Campusradio sogar mal die Sportsendung moderiert, weil alle qualifizierten Menschen an dem Tag ausfielen, habe Marketingtexte lektoriert für den Mann, der meinen Computer repariert hat – ich habe einfach alles gemacht, was nicht bei drei auf dem Baum war.

Der magische Moment und die Moral von der Geschicht

In Filmen gibt es oft einen spektakulären Moment der Erkenntnis, an den sich eine Montage mit motivierender Power-Pop-Hymne anschließt, in der die Hauptfigur ab jetzt alles macht, um ihr Ziel zu erreichen. So was hatte ich mir erhofft, als ich auf allen Vieren auf dem Boden des Mannheimer Nationaltheaters rumgerutscht bin, um das alte Wegeleitsystem abzukrubbeln und das neue anzubringen. Bei mir war es eher „steter Tropfen höhlt den Stein“. Alles andere als spektakulär. Irgendwann habe ich gemerkt, dass in jedem Nebenjob und in jedem Praktikum der Punkt kam, an dem Menschen mich gefragt haben, ob ich etwas schreiben, umschreiben oder korrigieren kann. Und dass ich mich am wohlsten fühle, wenn ich genau das tue. Jetzt würde ich super gerne behaupten, dass dieses „Irgendwann“ im dritten Semester war und ab da habe ich auf mein Ziel hingearbeitet. Aber es war im allerletzten Semester, nachdem ich zwischenzeitlich wieder melancholisch über meine eher unterirdischen Chancen auf eine Karriere im Taxi-Business nachgedacht hatte.

Die gute Nachricht: Der Moment kam. Alle, die ich aus Unizeiten und davor kenne, hatten früher oder später diesen Moment. Alle haben etwas gefunden, in dem sie sich zu Hause fühlen, in dem sie einfach gut sind oder was zumindest mal mit aufrechtem Haupt die Miete bezahlen lässt. Der Moment kommt, versprochen. Bis er da ist, kann man jede Menge Spaß mit Topfschlagen haben.


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