Schreiben für die Sichtbarkeit

Posted by | · · · · | Uncategorized

Auf ein Filmset, hinters Fahrerhäuschen einer Pioniereisenbahn, in die Welt von Federwegslängen, Teleskopstützen und Uphill-Flow: Das Schreiben hat mich schon an interessante Orte geführt – und doch immer wieder an dieselbe Stelle zurückgebracht.  

 

Dieser Beitrag ist Teil der Blogparade „Wohin mich mein Schreiben schon geführt hat“ von Kerstin Salvador.

„Wenn man mit jemandem ausgeht, ist es, als würde man ein langes Seminar zu dieser Person belegen – und wenn man sich dann trennt, ist dieses ganze Wissen plötzlich nutzlos. Es ist das emotionale Äquivalent zu einem Abschluss in Literaturwissenschaften.“ Das sagt der Protagonist Ted Mosby in einer Folge „How I Met Your Mother“. Und so ähnlich hat sich das mit mir und dem Schreiben lange angefühlt.

Als vielschreibendes Kind und notizbuchbesessener Teenager hab ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Schreiben ist nichts Besonderes, oder? Wer lesen kann, kann auch schreiben. Oder nicht?

 

Schreiben lernen mit System

Stellt sich heraus: „schreiben können“ und „schreiben können“, das sind zwei unterschiedliche Sachen. Die Fähigkeit, aus Buchstaben Wörter und aus diesen Wörtern Sätze zu bilden – die lernt man in der Grundschule. Fieserweise wird allerdings ein Geheimnis daraus gemacht, wie man lernt, gut zu schreiben.

Oft wirkt es so, als läge alles an Talent. Dabei steckt ganz schön viel Handwerk dahinter. Wo man das am besten lernt? Ironischerweise nicht im Germanistikstudium. Dass mein Schreiben System bekam, hatte mit dem Journalismus zu tun.

Im Journalismus muss man flink und verlässlich gute Texte liefern. Da ist nichts mit „Warten auf Inspiration“. Bei mir ging das nur mit klaren Gliederungen und dem Wissen, das Journalismus-Guru Wolf Schneider in „Deutsch für Profis“ zusammengetragen hat. Da steckt alles drin, was man braucht: Hauptsachen in Hauptsätze, mehr Aktion in die Verben, Floskeln abblitzen lassen, Substantivierungen die kalte Schulter zeigen … Jede Menge Handwerk auf winzigem Platz.

Aber was, wenn man sich all dieses Wissen draufgeschafft hat? Wenn man zudem weiß, was zu den unterschiedlichen Beitragsformen gehört? Wenn man den Lokführer einer Pioniereisenbahn während der Fahrt interviewt hat? Theaterkritiken verfasst, Themen gepitcht und Beiträge für den Hörfunk und den Onlineauftritt optimiert hat? Und dann rausfindet, dass man für den Journalismus einfach nicht gemacht ist?

 

Lektorin werden – mit Datingwissen 2.0

Es war eine gute Entscheidung, eine Reihe zurückzutreten und ins Lektorat zu wechseln. Es entspricht meinen Fähigkeiten, meinem Naturell, meinem Drang nach lebenslangem Lernen. Trotzdem hat es sich so angefühlt wie Teds Dating-Metapher: Jetzt habe ich all diese Dinge über Journalismus gelernt und werde sie nie mehr brauchen? Ernsthaft, all die Jahre waren umsonst?

Dann kam die Redaktion des Mountainbike-Magazins ENDURO auf mich zu. Mein Journalismus-Wissen mit ihrem Fahrrad-Fachwissen – zusammen war das Gold. Der Start in meine Freiberuflichkeit, die Versöhnung mit meiner Berufsentscheidung und der Beginn einer langen Freundschaft.

Irgendwann kamen Reiseführer dazu, auch Unternehmenskommunikation. Immer im Gepäck: Wolf Schneider und mein Wissen über Teaser, gute Geschichten und verständliches Texten.

 

Sichtbar als Selbstständige: LinkedIn, Blog & Co.

Selbst schreiben wollte ich viele Jahre nicht mehr. In der zweiten Reihe fühlte ich mich wohler, mein Fachwissen floss in die Texte anderer. Irgendwann wurde aber klar: Das reicht nicht mehr aus.

In der zweiten Reihe mag es bequem sein, aber man ist auch weitgehend unsichtbar. Für Selbstständige ist das Gift. Selbstständige müssen sichtbar sein. Das gilt auch im freien Lektorat.

Gerade wenn man öfter umzieht, sich beruflich umorientiert und phasenweise nicht vor Ort netzwerken kann. Wie findet man dann spannende neue Aufträge? Wie vermittelt man Menschen den Wert von Lektorat in einer Welt, die mit KI liebäugelt und dabei oft eine Abkürzung zu viel nimmt? Wie erklärt man, dass Texte mit und ohne KI nach wie vor kritische Augen brauchen – schreibende Sparringpartnerinnen, die Einfälle retten und Gedanken entwirren?

Deshalb tippe ich nun wieder die Tastaturen heiß – mit meinen eigenen Worten. Gerade als Frau in dieser Branche muss man den Mund aufmachen. So schwer das fällt. So schön das Leben in der zweiten Reihe ist. Wer nicht sichtbar ist, wird übersehen. Also hab ich wieder mit dem Schreiben begonnen.

Zaghaft zuerst, in einem immer wieder vernachlässigten Blog. Dann intensiver, in regelmäßigen Beiträgen auf LinkedIn, wo ich auch über Kerstin Salvadors Blogparade gestolpert bin. Ein idealer Anstoß, auch im Blog wieder sichtbar, lesbar, nahbar zu werden.

Denn langsam fühlt sich das Schreiben wieder so an, wie es früher war. Es ist eine Möglichkeit, Einfälle zu ordnen und Dinge wirklich zu durchdenken, sie von allen Seiten zu betrachten und mehr Klarheit zu gewinnen. Schreiben hilft beim Reflektieren, es hilft beim Schärfen eines Arguments. Es hilft dabei, wieder näher zu sich selbst zu kommen. Zur eigenen Stimme. Auf welche Reisen man mit dem Schreiben auch gehen mag, es führt immer wieder zu sich selbst zurück. Fordert einen heraus, macht Lücken sichtbar und dadurch auch füllbar.

Ich bin gespannt, wohin es als Nächstes geht.

 

Noch nicht genug? Hier meine 4 Einstiegstipps, um Schreiben zu lernen.
Und meine 5 Tipps gegen Schreibblockaden.

Buchtipps:
„Deutsch für Profis“ von Wolf Schneider (Goldmann)
„Clever texten fürs Web“ von Petra van Laak (Duden)
„Show your Work. 10 Wege, auf sich aufmerksam zu machen“ von Austin Kleon (mosaik)

 


No Comments

Comments are closed.